"Gelbes Trikot ist Geschichte": sagt Simon Schempp im Interview

Event-Datum: 
Freitag, 29 Januar, 2016
Simon Schempp von der Skizunft Uhingen ist das Aushängeschild der deutschen Biathleten. Vier Weltcup-Siege hat der 27-jährige Schwabe in dieser Saison bereits gefeiert, die WM in Oslo ist jetzt das große Ziel.

Im Staffelrennen von Antholz wurden sie wegen einer Behinderung durch einen japanischen Kollegen vor dem Ziel um den möglichen Sieg gebracht. Haben Sie ihm für die Zukunft einen Rückspiegel geschenkt?
SIMON SCHEMPP: Nein, natürlich nicht, ich respektiere jeden Konkurrenten. Es war aber in der Tat eine ungeschickte Situation. Eigentlich hat jeder diesen Zielsprint mit Anton Schipulin (Russland, Anm. d. Red.) kommen sehen und der Japaner hätte allein aufgrund der Lautstärke entlang der Strecke merken müssen, dass die Überrundung kommt und er ausweichen sollte. Ansonsten hätte er darauf hingewiesen werden müssen.
 
Gab es nach dem Rennen eine Aufarbeitung dieser Situation?
Ja, es gab ein Gespräch mit den Funktionären des internationalen Biathlonverbandes. In Zukunft sollen die Streckenposten für solche Momente sensibilisiert werden, um dann den Athleten auf der Strecke entsprechende Signale zu geben.
 
Vor den Übersee-Weltcups in den nächsten beiden Wochen in Kanada und den USA liegen Sie in der Gesamtwertung mit 483 Punkten auf Rang fünf. Lässt sich Spitzenreiter Martin Fourcade (711) noch einholen?
Das gelbe Trikot ist für diesen Winter aus meiner Sicht Geschichte, Martin Fourcades Vorsprung ist nach meiner krankheitsbedingten Pause schon zu groß. Aber die zwischen uns liegenden Konkurrenten Tarjei Bö, Anton Schipulin und Emil Hegle Svendsen sehe ich in Reichweite.

Sie waren glänzend in Form und nah dran an Fourcade, als Ihnen eine Erkältung einen Strich durch die Rechnung machte und Sie in der Wahlheimat Ruhpolding zum Startverzicht zwang. Was war passiert?
Wenn Dich die Erkältung erwischt, kannst Du nichts machen. Wenn die Nase zu ist und der Hals schmerzt, ist an Training oder gar einen Start im Rennen nicht zu denken. Es war ganz sicher nicht einfach, bei seinem Lieblings-Weltcup zuschauen zu müssen.
 
Gibt es denn kein Rezept, um gesundheitliche Probleme auszuschalten?
Das Immunsystem wird im Hochleistungssport extrem beansprucht und ist sehr sensibel. Ein Aspekt ist stets, langen Reisen und großen Menschenmengen aus dem Weg zu gehen, um die Infektionsgefahr zu reduzieren.
 
Im letzten "Heimrennen" sind Sie ja erfolgreich in die Loipe zurückgekehrt, zuletzt in Antholz standen Sie drei Mal auf dem Treppchen. Hatten Sie das erwartet?
Ehrlich gesagt, nein. Ich war selbst überrascht, dass es gleich so schnell und so gut wieder weiterging. Der Massenstart von Ruhpolding mit Platz sechs war ein guter Einstieg, da konnte ich mich ja ein wenig im Feld verstecken (lacht). In Antholz habe ich allerdings auch gespürt, dass ich noch nicht wieder in der brutalen Laufform bin, aber ich habe das Optimum herausgeholt.
 
Am Sonntag geht es auf eine lange Reise, nach mehrjähriger Pause stehen Weltcup-Rennen in Übersee an. Freuen Sie sich darauf?
Ja, während die Norweger auf die Rennen in Canmore verzichten und nur Presque Isle wahrnehmen, will ich, gerade nach meiner Pause, alle Wettkämpfe bestreiten. An Canmore habe ich gute Erinnerungen. Dort bin ich als Junior Staffelweltmeister geworden und die Landschaft dort ist sehr schön.
 
Anfang März steht in Oslo die Weltmeisterschaft an. Gibt es einen Wettbewerb, in dem Sie besonders gern eine Medaille gewinnen würden?
Nein, ich habe keine Lieblingsstrecke, sondern absolviere alle Wettkampfformen gerne und denke auch, dass ich in allen Disziplinen gute Chancen habe.
 
Ihre Fangemeinde hat ungemein zugenommen. Bleibt Ihnen Zeit, sich für die Unterstützung zu bedanken?
Ich habe diese Unterstützung gerade in Antholz wieder gespürt, aber der Zeitplan nach einem Podiumsplatz ist von der Siegerehrung bis zur Dopingkontrolle eng getaktet. Da sind die Fans vor Ort schon längst abgereist.
 
Dafür sind Sie als Aushängeschild der deutschen Biathleten im Fernsehen sehr präsent. Wie lässt sich das große öffentliche Interesse mit der Höchstleistung vereinbaren?
Du musst als Athlet höchst professionell sein und die Termine einteilen. Nach den Wettkämpfen komme ich mit dieser Euphorie gut klar, da steckt man ja selbst voller Glückshormone.
 
Zusatzinfo
Gute Erinnerungen an Canmore
 
Weltcup In der aktuellen Weltcup-Saison stand Simon Schempp bereits siebenmal in Einzelwettkämpfen auf dem Podium, viermal siegte der Gesamtweltcup-Vierte des Vorjahres. Aufsehen erregte der 27 Jahre alte Schwabe mit der Wiederholung seines Doppelsieges in Sprint und Verfolgung in Antholz in den Jahren 2014 und 2015. Vor wenigen Tagen gelang ihm dies fast zum dritten Mal in Serie, doch auf den Sprint-Erfolg folgte nach einem Fehler beim letzten Schuss Rang zwei in der Verfolgung. Im Weltcup stehen nun in Canmore/Kanada und Presque Isle/USA vier Einzelrennen und Staffelwettbewerbe an, ehe sich die Biathleten auf die WM in Oslo (3. bis 13. März) vorbereiten.
 
Karriere Schempp, von Beruf Zollwachtmeister, war 2009 in Canmore mit Erik Lesser, Benedikt Doll und Florian Graf Junioren-Weltmeister in der Staffel und feierte im gleichen Jahr seine Weltcup-Premiere. Der Mann von der Skizunft Uhingen, der in Ruhpolding lebt, gewann mit der deutschen Staffel als Schlussläufer 2015 WM-Gold und 2014 in Sotschi Olympia-Silber. Am Samstag, 30.01.2016, ist der Uhinger Biathlet zu Gast im Aktuellen Sportstudio (ZDF).
 
Quelle: swp.de    Bericht: Harald Betz
geschrieben: 29. Januar 2016 - 10:25 ; letzte Änderung: 19. April 2024 - 17:25