Porträt, Interview und Radiointerview zu Simon

Event-Datum: 
Montag, 26 Januar, 2015
Biathlon-Überflieger, Porträt von Julia Hartmann, www.sportschau.de
 
In der Ruhe liegt Schempps Kraft
 
Simon Schempp ist in der Form seines Lebens und drauf und dran, den großen Martin Fourcade vom Biathlon-Thron zu stoßen. Eines jedenfalls haben die beiden nach Meinung eines früheren Schempp-Trainers gemeinsam: eine ganz besondere Ruhe.

"Another perfect day", dahinter ein über das ganze Gesicht strahlender Smiley: So kommentierte Simon Schempp seinen Sieg im Biathlon-Sprint von Antholz. Ein weiterer perfekter Tag - es beschreibt genau das, was dem 26-Jährigen derzeit widerfährt. Acht Mal lief er in dieser Saison bereits auf das Podest, eine neue Bestmarke inklusive: Als bisher einzigem Biathleten gelang es ihm in Antholz, zwei Jahre hintereinander sowohl den Sprint- als auch den Verfolgungswettbewerb an einem Weltcup-Standort zu gewinnen. Auf Platz zwei im Gesamtweltcup hat sich der Uhinger bereits vorgearbeitet. Biathlon-Deutschland hat einen neuen Helden.

Nach alpinen Rennen Durchstarter beim Biathlon

Statt mit Martin Fourcade oder Anton Schipulin könnte Schempp heute theoretisch auch mit Felix Neureuther um Weltcup-Punkte kämpfen. "Mehr oder weniger erfolgreich", habe er Alpinrennen bestritten, heißt es auf der Internetseite des Zoll-Skiteams. Nach der ganz großen Karriere klingt das nicht. Etwas Positives kann Schempps früherer Trainer Steffen Hauswald der Alpin-Ausbildung allerdings abgewinnen: "Als Schüler konnte Simon auf den schmalen Langlauf-Skiern schon so gut bergab fahren. Wenn die anderen längst gebremst haben, war der Simon noch voll dabei. Da hat man seine gute Ausbildung aus dem alpinen Bereich gesehen."

13 Jahre ist Schempp alt, als er die Abfahrts-Ski in die Ecke stellt und zum Biathlon wechselt - dem Sport, den bereits sein Vater Reiner recht erfolgreich ausgeübt hat. Von ihm wird der junge Schempp zunächst im baden-württembergischen Uhingen trainiert. Für den Verein tritt Schempp heute noch an, auch wenn er recht bald aufs Skiinternat nach Furtwangen wechselt. Der Vorstand der Ski-Zunft Uhingen, Willi Hahner, erinnert sich: "Simon war auf Landesebene sehr erfolgreich und um weiterzukommen musste er einfach wechseln. Hier vor Ort waren wir einfach nicht so üppig bedacht mit Schnee. Und um Training und Lernen bestmöglich unter einen Hut zu bringen, war es fast zwangsläufig so, dass er wegmusste."
 
Früherer Trainer Bernreiter vergleicht Schempp mit Fourcade
 
Auf dem Internat wird Schempp von Hauswald trainiert, geht es zu DSV-Lehrgängen und Einsätzen im Junioren-Bereich, ist Franz Bernreiter für ihn zuständig. Letzterer bezeichnete Schempp einst als größtes deutsches Talent im Biathlon. "Ich war lange Juniorentrainer und mit der Zeit entwickelt man da ein Gespür", erklärt Bernreiter seine Aussage. Schempp habe zusätzlich zu seiner Laufstärke - "da war er schon immer eine Klasse für sich" - von Beginn an etwas ganz Besonderes gehabt: "Die Ruhe und die Zielstrebigkeit, die andere vielleicht nicht haben." Es sei die Ruhe, die auch Martin Fourcade habe. Ähnlich spricht auch Hahner, der Vorstand von Schempps Uhinger Verein: "Simon lässt sich zumindest nach außen hin nicht unter Druck setzen, ist ruhig. Seine Nervenstärke ist sein Plus."

Erste Erfolge im Juniorenbereich - später Durchbruch im Weltcup

Wie abgezockt er sein kann, beweist Schempp bereits recht früh. 2006 gibt er sein internationales Debüt im Juniorenbereich - es ist ein fast makelloser Einstand. In seinem ersten Rennen im österreichischen Obertilliach geht er als Sieger aus dem Sprint hervor, in der Verfolgung wird er Zweiter. 2009 - da trainiert Schempp mittlerweile in Ruhpolding - wird der Zollhauptwachtmeister erstmals in die Weltcup-Mannschaft berufen. Gleich bei seinem ersten Staffeleinsatz läuft er gemeinsam mit Daniel Böhm, Arnd Peiffer und Michael Rösch aufs Podest.

Auf seinen ersten Einzel-Sieg muss Schempp dagegen lange warten. Erst in der vergangenen Saison ist es soweit. Am 17. Januar 2014 jubelt er gemeinsam mit dem zeitgleichen Italiener Lukas Hofer über Platz eins im Sprint. Dass Schempp trotz optimistisch stimmenden Vorzeichen erst jetzt so richtig durchstartet, führt sein ehemaliger Trainer Bernreiter auch auf gesundheitliche Probleme zurück: "In den letzten Jahren war er immer ein bisschen anfällig." Sich in solchen Situationen zu schonen, falle aber jedem Athleten schwer, glaubt Bernreiter: "Da kommt man mit Euphorie in die Mannschaft und will zeigen, was man kann. Und da hat er vielleicht manchmal ein bisschen zu viel gemacht." Das, betont Bernreiter, sei aber nur eine Mutmaßung.

Schempps Ex-Trainer Hauswald gibt zudem zu bedenken: „Es gibt sehr wenige geradlinige Aufstiege." Das, was der 26-Jährige jetzt zeige, sei das Ergebnis langer, harter Arbeit - und sicher auch das Ergebnis schwierigerer Zeiten. Uhingens Vorstand Hahner verweist zudem auf die starke Konkurrenz bei den Männern. "Da können heute 30 unterschiedliche Athleten gewinnen", unterstreicht er die Leistungsdichte im Biathlon. Es müsse eben einfach alles passen.

Plüschiges Geschenk als Symbol für "mehr Drecksau"
Zwei Mal Erster, ein zweiter Platz: Die Antholz-Bilanz von Schempp kann sich sehen lassen.

Gepasst hat einfach alles in Antholz. Zwei Einzel-Siege, ein zweiter Platz mit der Mannschaft, so die Bilanz von Schempps Erfolgs-Wochenende. Hahner, der zugleich Vorstand des Simon-Schempp-Fanclubs Uhingen ist, war live vor Ort und ganz aus dem Häuschen. "Das war so gigantisch. Wenn Sie mich da beim Jubeln gesehen hätten ... das hätten Sie mir bei meinem Alter (Hahner ist 63 Jahre alt, Anm. d. Red.) gar nicht mehr zugetraut." Mit massig Fanschals und Autogrammkarten von Schempp sei er nach Antholz gereist, mit leeren Händen sei er wieder nach Hause gekommen. "Die Nachfrage ist gerade riesengroß. Und auch der Fanclub wächst und wächst", freut sich Hahner, der Schempp in regelmäßigen Abständen sieht.

Zwei, drei Mal sei Schempp im Jahr sicher in Uhingen, erzählt Hahner, das letzte Mal sei das in der Weihnachtszeit gewesen: "Und da habe ich ihn gleich zu einer Autogrammstunde im Fanclub verdonnert." Dort habe Schempp ein ganz besonderes Geschenk erhalten: Zwei Plüschtiere, einen Frischling und einen Eber. Hintergrund für das Geschenk ist eine bittere Erfahrung in der Mixed-Staffel Ende November vergangenen Jahres in Östersund. Damals kämpfte Schempp als Schlussläufer gegen Frankreich und Norwegen um Platz eins. Kurz vor dem Ziel rutschte Martin Fourcade über Schempps rechten Ski, brachte den Schwaben damit aus dem Rhythmus - und um den Sieg. Schempp reagierte darauf mit den Worten, er müsse "ein bisschen mehr Drecksau" sein. Das, findet Hahner, hat bereits geklappt: "Er setzt sich jetzt viel mehr durch, hält auch mal dagegen."

Ex-Trainer Hauswald: WM-Medaille muss und wird Anspruch sein

Doch nicht nur dagegenhalten muss Schempp - auch durchhalten ist angesagt: Im März steht die WM im finnischen Kontiolahti an. Sein früherer Heimtrainer Hauswald traut ihm dafür viel zu - nämlich "das, was er zuletzt gezeigt hat. Er ist jetzt im Biathlon oben angekommen. Er ist in der Lage, um WM-Medaillen mitzukämpfen. Das muss sein Anspruch sein - und das wird er sein."
28.01.2015,  Interview mit Harald Betz, Südwestpresse, NWZ GP
 
Biathlet Schempp: "Die mentale Belastung ist extrem"
 
Simon Schempp gehört zur Weltspitze im Biathlon. Der Gesamtweltcup-Zweite von der Skizunft Uhingen gewann die letzten drei Einzelrennen und steht dadurch fünf Wochen vor der WM im Rampenlicht.

Sie haben nach den beiden Erfolgswochenenden von Ruhpolding und Antholz mit gleich drei Siegen zwei Regenerationstage eingelegt. Wie sehen diese aus?
SIMON SCHEMPP: Ich konnte endlich einmal die Beine hochlegen, der Dienstag war völlig ohne Sport. Dafür gab es manches im Haushalt zu erledigen wie den Kühlschrank auffüllen und kochen. Zudem ist viel Post angefallen.
 
Da werden viele Autogrammwünsche dabei sein, oder?
Natürlich, und es gab viele Glückwünsche. Meine Post erledige ich selber und auch das Schriftliche, so gut es geht. Ich möchte das niemand anderem überlassen.
 
Wie wichtig ist das kommende freie Wochenende nach drei Weltcup-Stationen hintereinander?
Immens wichtig, man muss sich psychisch und physisch erholen. Die Anspannung bei diesen Rennen ist speziell vor dem Start extrem hoch. Auf diesem Level darfst du dir keinen Fehler erlauben. Der Druck ist im Vergleich mit den Konkurrenten stets präsent. Das mündet in einer extremen mentalen Belastung.
 
Umso schöner, wenn man im Ziel aufs Podest darf. Was geht einem dann durch den Kopf?
In Ruhpolding etwa war es ein unglaubliches Glücksgefühl. Für mich ging ein Traum in Erfüllung, weil ich dort das ganze Jahr trainiere, mein Heimpublikum zuschaute. Das bleibt über die Karriere hinaus in Erinnerung.
 
Zuletzt in Antholz haben Sie den Vorjahressieg in Sprint und Verfolgung wiederholt. Das hat vor Ihnen keiner geschafft, wussten Sie das?
Nein, das haben die Fernsehleute mir gesagt. Es ist unglaublich, was da alles an Informationen zusammengetragen wird.
 
In einer Zeitung stand, Sie hätten in Antholz 59.000 Euro Preisgeld verdient. Werden Biathleten von Ihrem Verband und den Sponsoren ordentlich belohnt?
(lachend): Ich habe definitiv keine 59.000 Euro verdient. Das IBU-Preisgeld beträgt 12 500 Euro für einen Sieg in Einzelrennen, und meine Sponsoren freuen sich sicher auch, wenn ich durch die Erfolge mehr in den Mittelpunkt der Medien rücke.
 
Zählt denn für den aktuellen Weltcup-Zweiten, nur 23 Punkte hinter Martin Fourcade, nun der Weltcup mehr oder die Weltmeisterschaft im März in Finnland?
Für mich ist der Gesamtsieg im Weltcup, also die Leistung über eine komplette Saison, wertvoller als ein WM-Titel. Und es muss bei der Weltmeisterschaft nicht Gold sein. Ich stand diesen Winter nun sechsmal bei Einzelrennen auf dem Podium. Wenn ich in Kontiolahti einen guten Tag erwische, kann ich auch dort um eine Podestplatzierung mitlaufen. Aber dann muss alles stimmen.
 
Nerven eigentlich die zunehmenden Fragen nach Zielen und Medaillen?
Ich sehe sie als eine Art von Anerkennung meiner guten Resultate und nehme es positiv auf.
 
Am Sonntag in Antholz liefen Sie als Schlussläufer der Staffel auf Platz zwei, ihre härtesten Weltcup-Konkurrenten Fourcade und Shipulin verzichteten auf den Staffel-Start. Wollten Sie unbedingt antreten?
Ja, ich habe mich gut gefühlt und wollte laufen. Aber die Saison ist lang, die WM kommt noch und die Wettkampfdichte im Biathlon ist ungemein hoch. Da ist es legitim, mal ein Rennen auszulassen. Ich werde auch nicht alles laufen. Wir werden das bei den nächsten zwei Weltcups vor Ort entscheiden.

Was sind im Moment Ihre entscheidenden Erfolgsfaktoren?
Meine sehr konstante Vorbereitung im Sommer und die über Jahre gesammelte Erfahrung zahlen sich aus. Ich bin noch besser in Schuss, auf der Zielgeraden nicht so übersäuert und habe im Endspurt noch Körner zum Zulegen.
 
Wie ist eigentlich der Umgang der Biathlon-Weltspitze untereinander?
Wir begegnen uns mit viel Respekt und können unsere Leistungen einschätzen. Man versteht sich, es kommt auch mal zum gemeinsamen Auslaufen nach dem Rennen. Gemeinsame Trainingseinheiten gab es aber noch nie.
 
In Antholz war auch Ihr Fanclub vor Ort. Blieb Zeit für Ihre Anhänger?
Ja, sie besuchten mich im Hotel. Vor Weihnachten war für mich ein guter Zeitpunkt, dem Klub zuhause einen Besuch abzustatten. Schließlich profitiere ich ja von seiner Unterstützung.
Pressekonferenz Antholz mit den Siegern auf    YOUTUBE
Am 26. Januar war unser Vorstand Willi Hahner zu einem Interview ins Stuttgarter Funkhaus bei SWR4 eingeladen.
Das Interview können sie unten abspielen.
 
geschrieben: 28. Januar 2015 - 9:54 ; letzte Änderung: 14. Februar 2015 - 10:53