Fourcade gegen Schempp: „Das geht an die Birne“

Event-Datum: 
Montag, 14 Dezember, 2015
Was der deutsche Biathlet vom Franzosen lernen muss
 

Hochfilzen. Simon Schempp weiß genau, an wem er sich zu orientieren hat. Oder offensiver formuliert: Wen es zu schlagen gilt, wenn man im Biathlon ganz nach oben will. Klar ist: der Schwabe mit Wohnsitz Ruhpolding will nach ganz oben. „Letztes Jahr war ich Vierter im Gesamt-Weltcup und natürlich will man sich verbessern“ sagt er. Sogar Altmeister Ole Einar Björndalen traut dem Deutschen zu, am Saisonende als der beste Biathlet der Welt dazustahen. „Simon weiß jetzt, wie er sich optimal vorbereiten muss.“ Davon abgesehen muss Schempp eindringen ins Revier des Platzhischen Martin Fourcade, zweifacher Olympiasieger von Sotschi, sechsmaliger Weltmeister, Seriensieger im Gesamt-Weltcup seit der Saison 2011/12, Jahrgang 1988 wie Schempp. Das ist dem Herausforderer bei seinen insgesamt sechs Weltcupsiegen schon gelungen, zuletzt am Freitag im Sprint von Hochfilzen. Weil er im Gegensatz zum Franzosen am Schießstand fehlerfrei blieb. Was schon deswegen umso erstaunlicher war, als Schempp eine Woche zuvor, beim ersten Sprint-Wettkampf der Saison, acht von zehn Scheiben hatte stehen lassen – eine saftige Ohrfeige, die man nicht so leicht wegstecken kann. Es sei denn, man hat Champion-Qualitäten. Auch in dieser Hinsicht hat sich Schempp an Brachenführer Fourcade ein Beispiel genommen. „Der ist in Östersund so schlecht eingestiegen und hat dann gleich den Sprint gewonnen.“ Denn wenn Monsieur Fourcade gereizt wird, läuft er zur Hochform auf.
Vor zwei Jahren hat der Champion Schempp noch jedes mal abgekocht, wenn es darauf ankam, aber der hat vergangene Saison zurückgeschlagen und ist inzwischen so stark geworden, dass er vom Meister tatsächlich als Bedrohung wahrgenommen wird. Dagegen muss man sich wehren. Mit allen – erlaubten – Mittel. Auch Schempp weiß längst, dass in der absoluten Weltspitze mehr gefragt ist als tolle Laufform, schnelle Ski, eine ruhige Hand. Worauf es gerade im Kampf Mann gegen Mann besonders ankommt, ist ein kühler Kopf, Schlitzohrigkeim, am Schießstand, und auf der Strecke. Wie am Samstag in der Verfolgung, beide vor dem Feld her liefen, und der ausgefuchste Franzose überhaupt keine Anstalten machte, wenigsten vorübergehend Führungsarbeit zu leisten. Hinterradlutscher nennt man solche Typen im Radsport. Und wenn die dann kurz vor dem Ziel aus dem Windschatten ausscheren und triumphierend die Arme kreisen lassen, dann kocht der Düpierte vor Wut. Zumindest innerlich. So wie Schempp am Samstag. „Das ging ganz schön an die Birne. Ein richtiges Psycho-Rennen.“ Keine Auseinandersetzung unter Gentleman. „Aber da musst du cool bleiben.“
Schempp ist ehrlich genug zuzugeben, dass diese Psychospielchen „definitiv“ zum Repertoire eines absoluten Spitzenkönners gehören. Das war mal wieder der Franzose, der dann leicht von einem „großen Duell“ sprechen kann. Auf die Frage, ob er gerne mit der Konkurrenz spiele, erwidert Fourcade: „Ich spiele nie mit meinen Gegnern, ich spiele nur mit mir selbst.“ Zum Schluss machen die beiden Kampfhähne Arm in Arm ein Selfie. Alles wieder gut. Aber wahrscheinlich brennt Schempp schon auf Revanche. Leider kommt es in Hochfilzen nicht mehr dazu. Auf das Duell der Schlussläufer Schempp und Fourcade in der Staffel am Sonntag hatten sich viele gefreut, aber Franzosen und Deutsche hatten beim Sieg der Russen das Nachsehen. Schempp muss sich ein paar Tage gedulden. Auf ein Neues in Pokljuka.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

geschrieben: 16. Dezember 2015 - 12:02 ; letzte Änderung: 20. April 2024 - 11:28