Es liegt viel Arbeit vor den Biathleten

Event-Datum: 
Dienstag, 30 November, 2021
Interview; Ex-Biathlet Simon Schempp über den neuen Job, sein Buch, die Chancen des deutschen Teams und seine Partnerin Franziska Preuß.
 
STUTTGART. An diesem Wochenende beginnt in Östersund der Biathlon-Weltcup. Simon Schempp trat im Januar zurück, bleibt der Sportart aber erhalten – nicht nur, weil er der Partner von Franziska Preuß ist.
 
Herr Schempp, der erste Sommer liegt hinter Ihnen, in dem Sie sich nicht auf den Weltcup vorbereitet haben.
Es war tatsächlich etwas komplett anderes, aber es war spannend. Ich musste ja einen neuen Weg finden. Es ging darum, etwas zu entdecken, was ich die nächsten Jahre oder eigentlich Jahrzehnte machen kann.
 
Und wo sind Sie gelandet?
Beim Deutschen Skiverband. Ich habe im Frühjahr ein Praktikum absolviert, um herauszufinden, welche Bereiche mir Spaß machen. Beim DSV bin ich nun im Ressort Finanzen angestellt und habe ein duales Studium begonnen. Es ist sehr interessant, vielseitig und auch aufwendig – aber ich habe viele sehr kompetente Leute um mich, die mich wunderbar einarbeiten.
 
Ich dachte, Sie gehen unter die Autoren.
(Lacht.) Ja, Mitte Dezember kommt mein Buch heraus, in dem ich über meine Karriere erzähle. Die Überlegung, ein Buch zu schreiben, kam erst nach dem Rücktritt, als Aktiver habe ich mich damit nicht beschäftigt.
 
Ich denke, es hat Spaß gemacht, oder?
Ja, definitiv. Das wurde mir während des Projektes bewusst, als ich alles noch mal Revue passieren ließ. Ich finde, das Buch bildet einen schönen Abschluss meiner Karriere.
 
Stehen Enthüllungen drin? Muss jemand die Veröffentlichung fürchten?
Es gibt viele Einblicke hinter die Kulissen der Biathlon-Welt, wo einiges thematisiert wird, was nicht allgemein bekannt ist – aber Enthüllungen würde ich das nicht nennen. Ich bin nicht der Typ, der mit irgendjemand abrechnet, deshalb muss sich keiner fürchten, glaube ich zumindest. Aber natürlich gehe ich manche Themen schon sehr kritisch an. Ich habe auch Dinge erlebt, die gelaufen sind, wie sie nicht laufen sollten. Biathlon ist nicht nur eine Insel der Glückseligen.

Als Sie mit Ihrem Job und dem Buch beschäftigt waren, ist Ihre Partnerin Franziska Preuß trainieren gegangen. Hand aufs Herz: Das war komisch für Sie.
Stimmt, das hat sich komplett geändert, denn wir hatten über Jahre den gleichen Tagesablauf. Ich war selbst gespannt, wie ich damit zurechtkomme, wenn sie wieder trainiert. Ich habe schnell festgestellt, dass ich sehr gut mit der neuen Situation klarkomme und es mich überhaupt nicht belastet. Das war die letzte Bestätigung, dass es der richtige Schritt war, die Karriere zu beenden.

Nun geht der Weltcup los. Was dürfen die deutschen Biathlon-Fans erwarten?
Was ich mir wünsche oder was ich realistisch erwarte?

Was sind die Wünsche?
Ich hoffe auf eine sehr erfolgreiche Saison mit konstanten Leistungen und guten Wettbewerben mit vielen Erfolgen auf hohem Niveau. Konstanz ist das Schwierigste und gleichzeitig das Wichtigste im Biathlon, weil die Saison über vier Monate geht.

Zurück zur Realität. Sie haben aufgehört und auch Arnd Peiffer – zwei Athleten, die Biathlon über Jahre geprägt haben.
Wie gerade gesagt, ist Konstanz ungeheuer wichtig – ich befürchte, dass es schwer wird, diese Konstanz zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass es vereinzelt gute Leistungen geben wird, wie das auch in der jüngsten Vergangenheit war. Gerade Benedikt Doll war ja auch schon öfters unter den Top Ten im Gesamt-Weltcup zu finden, er hat bewiesen, dass er ganz vorn mithalten kann. Es wäre schön, wenn er sein Potenzial abrufen kann, aber der Rest der Herren-Mannschaft muss sich deutlich steigern. Da liegt viel Arbeit vor ihnen, es wäre schön, wenn der eine oder andere einen Sprung nach vorn macht.
 
Der Nachwuchs fehlt ein wenig, der Jüngste im Team in Östersund ist Justus Strelow, der ist 24. Alle anderen sind bald an die 30 Jahre oder darüber.
Diese Entwicklung ist nicht optimal. Vor einigen Jahren galten die 26-Jährigen als Etablierte im Weltcup, heute ist man damit ein Jüngerer. Die Junioren müssen schneller in Schwung kommen, damit sie schon in jungen Jahren mit 22 oder 23 im Weltcup Fuß fassen – und die dann in Folge gut trainiert, betreut und entwickelt werden.

Bei den Frauen ist Franziska Preuß als Weltcup-Dritte der vergangenen Saison das ideale Vorbild für den Nachwuchs.
Ja, sie hatte eine super Saison, aber ich glaube, es war noch keine Topsaison, bei ihr ist noch immer Potenzial vorhanden. Sie kann wieder ganz nach vorne kommen, wenn sie verletzungsfrei bleibt und sie auch sonst von Unerwartetem verschont bleibt. Ich habe ein gutes Gefühl bei ihr.

Sie müssen es wissen.
(Lacht.) Genau, ich freue mich auf ihre Starts. Sie hat schon einiges durchgemacht in ihrer Karriere, deshalb ist es schön zu erleben, in welche Richtung sich alles entwickelt.
 
Im Februar sind Olympische Spiele, werden Sie da nicht ein bisschen wehmütig?
Vor ein paar Jahren hatte ich gehofft, dass ich in Peking noch dabei bin, doch es ist eben anders gekommen. Jetzt kommen bei mir keine negativen Gefühle auf, als würde ich etwas verpassen. Nein, ich trauere Olympia bestimmt nicht nach, ich war bei drei Spielen.
 
2018 unterlagen Sie im Massenstart Martin Fourcade nur um Zentimeter.
Ja, Silber ist natürlich ein großer Erfolg. Aber es war verdammt eng, und leider kommt so eine Chance für mich nie mehr. Ich habe ein paar Zielsprints gewonnen, aber eben nicht den, der vielleicht der wichtigste war. Aber vom besten Biathleten der Welt nur hauch-dünn geschlagen worden zu sein, verbuche ich als Auszeichnung.

Sie hatten einen sehr guten Kontakt zu Fourcade, als Sie Kontrahenten waren. Nun sind Sie beide zurückgetreten ...
... und wir sehen uns noch immer. Erst im Sommer waren wir in Frankreich, weil die Franzi (Preuß, d. Red.) bei seinem „Nordic Festival“ gestartet ist. Ich glaube, unser Kontakt wird bestehen bleiben. Wir waren harte Rivalen, da ist es auf der Strecke nicht immer freundlich zugegangen, aber wir haben nicht
nur den Gegner gesehen, sondern auch den Menschen. Martin hat übrigens das Vorwort in meinem Buch geschrieben.
 
Wie intensiv verfolgen Sie die allgemeine Entwicklung im Biathlon?
Grundsätzlich hat die Ibu (Weltverband, d. Red.) ein erstklassiges Produkt, es gibt wahnsinnig spannende Wettkämpfe und ein hohes Publikumsinteresse. Was ich allerdings recht kritisch sehe, ist die steigende Anzahl von Wettbewerben. Das ist fast schon inflationär. Ich bin kein Freund davon, wenn Disziplinen schießlastiger werden, denn dann kann jemand gewinnen, der nicht absolut topfit ist. Wenn die Ausdauerleistung nicht mehr entscheidend ist, verfehlt man aus meiner Sicht den Sinn des Biathlonsports. Deshalb ist es momentan unnötig, neue Wettbewerbsformen zu erfinden.
Das Gespräch führte Jürgen Kemmner von Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten.
 
Simon Schempp (*14. November 1988) stammt aus Uhingen. In seiner Karriere gewann er drei Olympia- sowie acht WM-Medaillen. Im Januar 2021 trat er zurück.
geschrieben: 30. November 2021 - 21:23 ; letzte Änderung: 18. April 2024 - 17:34